„La Voix Humaine – Die Menschliche Stimme“ – ein theatrales Experiment in Aachen

PM-Ersteller

(Dieter Topp) Der Theatermonolog von Jean Cocteau soll im Mörgens, einer kleinen, intimen Spielstätte des Theaters Aachen mit der Opernbearbeitung des Stoffes von Francis Poulenc verschränkt werden:

BildEin letztes Telefongespräch zwischen einer verzweifelten Frau und ihrem Geliebten, der sie verlassen hat, um mit seiner standesgemäß Verlobten die Ehe zu schließen. Es ist die Geschichte einer großen Liebe, Einsamkeit, Schmerz und Abhängigkeit.

Ein spartenübergreifendes Projekt versprachen Tommy Wiesner und Clara Hinterberger basierend auf den Werken von Jean Cocteau und Francis Poulenc, in denen eine Frau beim Versuch, eine zerrüttete Beziehung zu retten, in einen Daseinskampf gerät. 

„In diesem theatralen Experiment treten, anders als im Originalstoff mit Mann und Frau, zwei Frauen auf: Die eine spricht, die andere singt. So entstehen multiple Perspektiven auf das Spannungsfeld Liebe und Zwischenwelten, in denen nicht zu erkennen ist, was Traum und Wirklichkeit ist,“ heißt es in der Ankündigung. Dadurch, dass hier der Frau eine zweite zur Seite steht, könnten die beiden sich gegen das Unbekannte auf der anderen Seite des Kommunikationsmediums „verschwestern“. Wie verändert sich dabei die Erzählung?

„Jetzt bin ich in der Opposition … Ich liebe den Text, aber ich will ihn feministischer …“, so Regisseur Tommy Wiesner. Generell soll’s moderner werden. „Wir möchten die Frau anders gestalten, selbst, wenn der Text der ursprüngliche ist, muss sie kein veraltetes Rollenbild annehmen.“ 

Cocteaus Versuchsanordnung untersuchte bereits 1930 die Ambivalenz der technisch unterstützen Kommunikation. 

Die vorliegende Inszenierung, scheint in einer Zeit von omnipräsenter medialer Kommunikation direkt aus dem Leben gegriffen zu sein, zumal die beiden Protagonistinnen sich ständig in den Strängen (gespannter Schnüre) multipler Kommunikationwege und Emotionen verfangen, verstricken, verirren und erst dann zum Ausweg eines positiven Endes gelangen, wenn sie diese endgültig durchtrennen und sich dadurch vollends befreien. Mit multiplen Video-Einspielungen und Spiegeln, sowie einem organischen Bühnenbild von Clara Hinterberger, das sich über die gesamte Spielfläche des Mörgens erstreckt, wird gearbeitet. 

Gekonnte Sprachmodulation und glaubwürdiger Ausdruck von Schauspielerin Stefanie Rösner und ein mitreißender Sopran von Suzanne Jerosme füllen die anstrengende und packende Rolle mit einer Bandbreite von Gefühlsregungen aus verlogen überhöhter Selbstsicherheit und psychischem Zusammenbruch, aus hysterisch euphorischer Verzweiflung und von Angst bestimmter Hoffnung implizierter Fragen darstellerisch und vor allem gesanglich gut aus. Der Sopran ist gradliniger, spitzer, schärfer, kristalliner und die herzzerreißenden hohen Töne (altersbedingt) jugendlicher als bei Denise Duval, der Kreatorin der Oper 1959, woran es zu messen gilt.

Auch bei dieser Aufführungen wird auf die orchestrale Begleitung zugunsten der intimeren Klavierbegleitung verzichtet. Die exzellente Pianistin Younghee Hwang ist in den Prozess der „Verschwesterung“ per Video und live auf der Bühne mehrfach einbegriffen, was den feministischen Ansatz des Regisseurs noch verdeutlichen soll. 

Bei allen Versuchen neuer Interpretation stellt sich die Frage, ob diese den ursprünglichen Ideen von Cocteau-Poulenc genügen. 

Im Mörgens überzeugen die drei Protagonistinnen mit ihrem Besten. Bei der Regie ist jedoch noch sehr viel Luft nach oben.

Die starken Videoprojektionen werden irgendwann nicht weiter verfolgt, der Wechsel von weichem Bühnenbelag zu harten, glatten Spiegeln nicht ausgearbeitet. Vor allem jedoch fehlt die könnende Hand, da sich der deutsche Text hier lediglich im französische Gesangspart wiederholt. Es geht nicht voran. Den Darstellerinnen wird so ein spezifische Gestaltungsfreiraum genommen. Das dem Regisseur so bedeutende „Verschwestern“ verödet in inhaltlicher Wiederholung. Einer guten Idee mangelt es an guter Regiearbeit.

Leider gehen Oper und Sprechtheater hier keine echte Beziehung ein, denn Sprache und Klang spiegeln sich nicht wirklich. Sie stehen nebeneinander und vereinen sich höchstens zu einer Partitur, wenn schlussendlich alle drei gemeinsam am Klavier sitzen, spielen und singen. Und das ist zu wenig für ein derart hoch gestecktes Unterfangen.

Weitere Aufführungen am 26.02. und 13. /20. 03.2021

theateraachen.de

Foto: Ludwig Koerfer (Schauspielerin Stefanie Rösner (hinten) und Sängerin Suzanne Jerosme)

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