Dr. Reuter Investor Relations: Sind chemische Pestizide alternativlos? Der Markt für grüne Lösungen wächst

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Um die europäischen Lebensmittelsysteme nachhaltiger, fairer und gesunder zu gestalten, hat die EU das 10-Jahres-Programm From Farm to Fork (Vom Hof auf den Tisch) ins Leben gerufen. Dieses sieht unter anderem vor, dass der Anteil des Öko-Landbaus bis 2030 um 30 Prozent ansteigt und sich der Einsatz von chemischen Pestiziden um die Hälfte reduziert. Erreicht werden soll das über ein Verbot vieler Pflanzenschutzmittel und eine schrittweise Senkung der Grenzwerte von Pestiziden. Dem Commissions Rapid Alert System for Food and Feed (RASFF) zufolge – das ist das Europäische Schnellwarnsystem für Lebens- und Futtermittel in der Europäischen Union — betraf das alleine 2020 knapp 60 verschiedene Arten von chemischen Pestiziden. Doch gibt es Alternativen? Und falls ja, sind diese wirkungsvoll, nachhaltig und kostengünstig?

Den Fokus legt die EU derzeit auf die Entwicklung von biologischen und risikoarmen Pflanzenschutzmitteln, die etwa auf Pflanzenextrakten oder lebenden Mikroorganismen – Bakterien, Pilze, Viren und Protozoen – basieren. Die Crux allerdings ist die lange Zulassungsdauer. Noch durchlaufen die Mittel zur biologischen Schädlingsbekämpfung den gleichen Regulierungsweg wie die chemischen Substanzen: Es dauert etwa ein Jahrzehnt, bis sie auf den Markt kommen. Da bedingt durch die komplexen Auswirkungen des Klimawandels und des Ukrainekrieges die Herausforderungen für die Landwirte gewaltig sind, drängt die Zeit. Die EU jedenfalls hat reagiert und den Zulassungsprozess für biologische und risikoarme Pflanzenschutzmittel beschleunigt.

EU setzt auf Mikroorganismen

Die neue Regelung gilt ab November 2022 und stützt sich auf die biologischen und ökologischen Eigenschaften des jeweiligen Mikroorganismus, stets vor dem Hintergrund der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Bisher sind in der EU mehr als 60 Mikroorganismen genehmigt.

Bevor ein Wirkstoff in einem Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommt, prüfen die Mitgliedstaaten, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die EU-Kommission, ob er für Mensch und Umwelt sicher ist. In einem zweiten Regulierungsschritt erteilen die Mitgliedstaaten eine Zulassung des Pflanzenschutzmittels für den jeweils vorgesehenen Verwendungszweck. Gestraffte Antragsdossiers, vereinfachte Risikobewertungen und kürzere Fristen für den Zugang zum EU-Markt erleichtern die Antragsverfahren.

Darüber hinaus fördert die EU risikoarme chemische Pestizide wie etwa Pflanzenschutzmittel, die Backpulver und Calciumcarbonat (Kalkstein) erhalten. Die Suche nach Alternativen bedeutet jedoch nicht, dass chemische Pestizide künftig ein Tabu darstellen, zumal sie in der kommerziellen Lebensmittelproduktion oft noch alternativlos sind. Mit den neuen Vorschriften wird der Einsatz chemischer Pestizide also reduziert, jedoch nicht generell verboten.

Derzeit bereitet Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), ein Exportverbot bestimmter gesundheitsschädlicher Pestizide vor. Dabei handelt es sich um in der EU verbotene Chemikalien, die jedoch meist in Länder des globalen Südens exportiert werden, wo der Einsatz von Pestiziden weniger reguliert ist. Noch boomt das Geschäft: So zeigt der von der Heinrich-Böll-Stiftung dieses Jahr herausgegebene Pestizidatlas, dass weltweit so viele Pestizide ausgebracht werden wie nie zu vor.

Cem Özdemir: Die Menschen haben überall das gleiche Recht auf Gesundheit

Es geht nicht an, dass wir nach wie vor Pestizide produzieren und exportieren, die wir bei uns mit Blick auf die Gesundheit der Menschen zurecht verboten haben. Die Menschen haben überall das gleiche Recht auf Gesundheit, das muss auch für die Bäuerinnen und Bauern in anderen Ländern gelten, fordert Özdemir. Das BMEL gibt an, dass 2021 aus Deutschland insgesamt 53.020 Tonnen Pflanzenschutzmittel ausgeführt wurden, davon 8.525 Tonnen nicht genehmigter Wirkstoffe mit potentiell gesundheitsschädlichen Eigenschaften. Laut einer 2020 im gesundheitswissenschaftlichen Fachjournal BMC Public Health publizierten Studie (The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning: estimations based on a systematic review) treten die meisten nicht-tödlichen Vergiftungsfälle in Südasien auf, gefolgt von Südostasien und Ostafrika. Die Gesamtzahl der Todesfälle durch unbeabsichtigte Pestizidvergiftungen wird in der Veröffentlichung auf weltweit etwa 11.000 Todesfälle pro Jahr geschätzt, 60 Prozent davon alleine in Indien.

Darüber hinaus hat ein Verbot der Ausfuhr bestimmter Pestizide ins Ausland einen positiven Nebeneffekt für die deutschen Landwirte, da es mehr Fairness im Wettbewerb schafft. Bestehende alternative Verfahren führen nicht selten zu einer finanziellen Mehrbelastung oder erweisen sich als weniger wirkungsvoll. Deutschland folgt damit dem Beispiel Frankreichs und der Schweiz. Noch allerdings gilt das von Özdemir avisierte Gesetz nicht.

Auch missachten viele Exporteure die neuen EU-Richtwerte bezüglich des Einsatzes von Pestiziden.
So hat das EU- Schnellwarnsystem für Lebens- und Futtermittel (RASFF) in der ersten Jahreshälfte 259 Meldungen über gravierende Pestizidrückstände in Lebensmitteln erhalten, die aus der Türkei importiert wurden. Das betraf vor allem die Lieferung von Zitronen, Grapefruits, Paprika und Mandarinen. Die Türkei ist derzeit der wichtigste Nicht-EU-Lieferant von Zitrusfrüchten nach Europa, wobei insgesamt 70 Prozent der in die EU eingeführten Frischwaren aus Schwellenländern stammen.

Save Foods: Grüne Innovation aus Israel

Doch wie kann frisches Obst oder Gemüse den langen Transportweg zum europäischen Verbraucher überstehen, wenn der Einsatz von Pestiziden nur noch eingeschränkt möglich ist? Eine grüne Innovation aus Israel bietet einen Ausweg aus dem Dilemma.

Die nachhaltige Technologie von Save Foods garantiert nicht nur Lebensmittelsicherheit und längere Haltbarkeit, sie öffnet auch die Tür zu regulierten Märkten, erklärt Dan Sztybel. Sztybel ist CEO der israelischen Tochtergesellschaft von Save Foods, einem des US-amerikanischen Unternehmen, das auf Agrar- und Ernährungstechnologie spezialisiert ist. Save Foods bietet nachhaltige Lösungen, um die Frische und Qualität von Obst und Gemüse über einen längeren Zeitraum zu erhalten und gleichzeitig die Kontamination mit Krankheitserregern zu verhindern. Die Gesellschaft ist seit 2021 an der US-Hightech-Börse Nasdaq gelistet (ISIN: US80512Q3039).

Dies gelingt dank eines umweltfreundlichen und kostengünstigen Verfahrens. Obst und Gemüse werden vor oder nach der Ernte mit einer speziellen Mischung aus Speisesäuren und Oxidationsmitteln behandelt und bleiben länger frisch. Sztybel verweist auf die Einfachheit der umweltfreundlichen Verfahren, die dafür sorgen, dass sich der Verfall von Obst und Gemüse sich im Einzelhandel durchschnittlich um 50 Prozent verringert: Wir nutzen das Innere der Frucht, um das Äußere zu schützen.

Bisher beziehen sich die Produkte von Save Foods, die mit zehn Patenten geschützt sind, auf die Behandlung nach der Ernte. Der Vorteil: Die grünen Mittel können problemlos in bestehende Systeme integriert werden und dabei Fungizide ersetzen. Aber Sztybel möchte noch weiter gehen: Unser Forschungs- und Entwicklungsteam arbeitet unter Hochdruck an einer Behandlung, die bereits auf dem Feld angewandt werden kann .

Potentiell großer Markt für nicht-chemische Pflanzenschutzmittel

Um so stärker der Klimawandel und der Ressourcenmangel voranschreiten, um so dringlicher wird der Ruf nach grünen Alternativen zu chemischen Pflanzenschutzmitteln. Die entscheidende Frage lautet also: Wie kann eine gesunde Ernährung der Weltbevölkerung gelingen, wenn der Planet am Limit ist? Viele Wissenschaftler arbeiten daran, dass dieser Spagat gelingt. Der existierende Markt für chemische Pflanzenmittel, die aktuell den Großteil unserer Ernährung garantieren, ist groß.

Allein in Deutschland werden laut Recherche der Heinrich Böll Stiftung rund 650 Millionen US-Dollar jährlich mit Pestiziden umgesetzt, in den USA sind es sogar fast drei Milliarden US-Dollar. Dominierend sind dabei vier Konzerne: Syngenta Group (CH), Bayer (D), Corteva (USA) und BASF (D). Sie teilen sich nach Angaben der Stiftung rund 70 Prozent des Weltmarktes. Doch die Zukunft dürfte alternativen Lösungen gehören. Anbieter wie Save Foods stehen bereits in den Startlöchern. Sie treten an, den Markt für Pflanzenschutzmittel umzukrempeln.

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