Euroregionales Theatre Festival TESZT in Timisoara, RO, Kulturhauptstadt Europa 2023.

PM-Ersteller

(von Dieter Topp) Eines der wichtigsten Projekte des Ungarischen Staatstheaters Csiky Gergely, das Euroregionale Theaterfestival in Timisoara – TESZT, findet seit 2008 jährlich statt.

BildTESZT ist international, soll das Wissen über Multikulturalität fördern und das Publikum über das neueste Theater in der Region informieren: als Plattform für den kulturellen Austausch und als Einladung zum Dialog mit den Künstlern und anderen Fachleuten in diesem Bereich.

Aufgrund seiner besonderen Lage befindet sich Timi?oara am Kreuzungspunkt verschiedener Kulturen. In der Nähe von Budapest und Belgrad, neben Arad, Novi Sad, Subotica und Szeged, alles Städte, die für ihre besonderen, kultivierten Werte bekannt sind.
Trotz der geographischen und kulturellen Nähe haben die Theater dieser Städte nur wenig Kontakt miteinander. Die psychologischen Grenzen blockieren den Informationsfluss zwischen ihnen. Hier tritt TESZT als Mittler in Erscheinung, um eine engere und häufigere Zusammenarbeit zwischen den Theatern dieser Region zu fördern, Erfahrungen auszutauschen und dem Publikum zu einem besseren Verständnis neuer Theaterformen zu offerieren.

Heute ist dieses Festival zu einem der wichtigsten kulturellen Ereignisse der Region geworden und trägt auf Grund seiner Lage an der rumänischen, ungarischen und serbischen Grenze dazu bei, ein Ort der Begegnung zwischen den Kulturen zu sein, die Kulturen der verschiedenen Nationen einander vorzustellen und den Boden für die Präsentation ihrer eigenen Werte und all der neuen Werte zu schaffen, die während des Zusammentreffens dieser Länder entstanden sind.

TESZT kann mehr als ein kultureller und künstlerischer Treffpunkt für verschiedene Kunstformen sein, ein Ort für Experimente und Forschung, für den Dialog zwischen Publikum und Künstlern, an dem besonders die junge Generation als Partner angesehen wird. „Wir halten es für wichtig, die Jugend zu stimulieren, zu ermutigen und zu erziehen. Ausgehend von unseren bisherigen Erfahrungen halten wir es für notwendig, unsere Hauptziele stets zu überdenken und zu definieren, um das Programm des Festivals zu erweitern“, so die Veranstalter.

Eine beherzte Diversität zeichnete die Festivalausgabe dieses Jahres im Besonderen aus. Auch oder gerade vom Veranstalter gewollt als Beitrag zum Programm von Timisoara Kulturhauptstadt Europa 2023.

Soziales Wachstum zu propagieren ließen sich die acht Festivaltage erfolgreich an. Kultur bewegt und bewegt sich, daher spielten „Fluid Views“ eine gewichtige Rolle beim Konzept der 14. Festivalausgabe. „Fluid Views“ bezeichnete in diesem Festival die Sparte rund um Diversity-Darbietungen, die notwendiger Weise der LGBTQ+ Gemeinde Raum gab, ein Postulat im Programm-Rahmen einer Kulturhauptstadt Europa.

Den Auftakt dazu machte SADBOY, Panos Malactos, ein Zypriote mit einer rasanten One-Man-Movement-Show über sein schwules Leben als Instagram- und DatingApp Nutzer. Volle Vorstellung und Jubel der Besucher.

„Herz Emoji“, eine Interpretation der deutschen Truppe SZENE 2WEI (William Sanchez H. und Timo Gmeiner aus Deutschland):

Das Stück DANCE übermittelte die reale Bedeutung des Emojis eines jeden einzelnen Tänzers von elektronischer Anonymität in dessen reales, privates Leben hinein. Die inklusive zeitgenössische Tanzdarbietung in Slow Motion Form machte zugleich Bedeutung und Problematik der nicht leichten, aber umso herzlicheren Form einer Choreografie klar, in der Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt miteinander umgehen.

Das zeitgenössische Tanzstück LORDESS von THE GARDEN // performing arts platzte voller Lebenslust mitten rein in den Diskurs um Sexualität, Gender, konstante Transformation und Performance. Der Körper als politischer Diskurs auf der Bühne und die Schönen Künste als Fundament für Bewegung. Inspiriert durch die queere Künstlerin Lorenza Böttner zeigte das Stück, was möglich ist – unter der Prämisse, dass die Grenzen von Kreativität und Kunst nicht von unseren Körpern oder unserer Vorstellung von Normalität abhängig sind.

Die Vorstellung SWORN VIRGIN war als ein weiterer Teil von Fluid Views, der Festivalsektion von TESZT eingeladen, eine Kooperation mit der Identity. Bildungs-NGO aus Timi?oara. Dieser Theaterabend stellte sich in mehrfacher Hinsicht als ein besonderer heraus:

Jeton Nesiraj, wohl der zur Zeit bekannteste und weltweit einflussreichste unter den Schriftstellern des Neuen Balkans, lieferte die Vorlage in Form einer fiktiven Geschichte um eine sogenannte geschworene Jungfrau, auch Burrnesha, eine Frau, die in ihrer Familie und in der Gesellschaft die Rolle eines Mannes übernimmt und dabei in aller Regel völlig auf Beziehungen, Ehe und Kinder verzichtet. Die Frau legt einen Schwur ab und wird fortan als Mann behandelt, trägt Männerkleidung und Waffen und kann die Position des Familienoberhaupts übernehmen. Hauptursachen für die Entscheidung als Mann zu leben sind die Vermeidung einer ungewollten Ehe oder das Fehlen eines männlichen Familienoberhauptes sowie der Wunsch nach einem freien Leben mit mehr Möglichkeiten.

Aus der sozialen Nische transportierte Neziraj die Story in eine letztlich queer endende lesbischen Konstellation. Regisseur Erson Zymberi setzte diese Fiktion in einer Medien bestimmten Umwelt prall auf die Bühne, indem er Burrnesha in einer mit den üblichen Klischees bedachten Talkshow einer Drag-Queen in London auflaufen ließ. Sie widersetzte sich – wie ein Mann – und begann schließlich ein Verhältnis mit der TV-Ansagerin in den Bergen des Balkan. Damit startete sie ein anderes, selbstbestimmtes Leben.

Dank Autor und Regisseur ging das Stück über das bloße Porträt einer sozialen albanischen Minderheit hinaus und gestaltete sich zu einer queer feministischen Interpretation.
Die „geschworene Jungfrau“ spricht über das Phänomen der geschworenen Jungfrauen im Licht der aktuellen Debatte über Geschlechterfragen. Sie befasst sich mit dem Konzept der Freiheit bzw. dem Mangel an Freiheit in Gesellschaften mit unterschiedlichen Werten, Konzepten und sozialen Konstruktionen.

Ein Glückfall, dass Story und Gender-Show in Sachen Diversität aus dem Kosovo kamen, wo in dieser Beziehung noch sehr viel getan werden muss. Es kann einerseits als ein emanzipatorisches Unterfangen auf kultureller Basis angesehen werden, das queere Sujet in den anderen Balkanstaaten auf Festivals voranzutreiben. Andererseits bedeutet es eine geschickte Möglichkeit, das Kosovo diesbezüglich im Westen positiv darzustellen. Und letztlich entpuppte es sich um einen Gewinn für Timisoara, Kulturhauptstadt Europa 2023, im homophoben Rumänien, denn Diversität im Kulturprogramm sehen die Postulate der europäischen Vergabe ausdrücklich vor.

So wurde in der TESZT Festival Sektion „Fluid Views“ der queeren Community eine feste Plattform eröffnet, die in mehreren Veranstaltungen durch äußerst rege Publikumsteilnahme angenommen wurde. Ein Schritt nach vorne und eine win-win Situation in mehrfacher Hinsicht. Es gilt nun, darüber hinaus diese Anfänge zu festigen.

Obwohl nicht Fluid Views zugeschrieben, gehörte die serbische Produktion „Unser Sohn“ von Patrik Lazic, der auch selber Regie führte, unbedingt dazu: Jahrelang, vielleicht für immer, wusste niemand in dieser Familie, wie man ein ehrliches Wort zu jemandem sagt. Jetzt ist der Sohn erwachsen, lebt so weit weg wie möglich, und manchmal besucht er sie – schließlich liebt er sie und braucht sie, und diesmal hofft er, dass ehrliche Worte kommen. Auch die Eltern lieben ihren Sohn, und sie würden ihn noch mehr lieben, wenn sie nur wüssten, was der Fehler war, was der Grund war und wer die Schuld daran trägt, dass ihr Kind nicht „wie der Rest der normalen Welt“ ist. Alles wäre in Ordnung, aber das einzige Problem ist, dass der Sohn bereits so ist wie die normale Welt. Eine intime, ehrliche, poetische, humorvolle und manchmal auch tragische Geschichte über Eltern, die tief im Inneren keinen Weg finden, die Identität ihres non-binären Sohnes zu akzeptieren.

Und last not least Ivo Dimchev, das mittlerweile internationale Markenzeichen für Frechheit, Gemeinheit und Trivialität mit subversiven, provozierenden Botschaften und Liedern. Man kann ihn lieben oder hassen, aber muss ihn einmal gesehen haben.

Danke TESZT und den mutigen Organisatoren für diese spezielle Festival-Sektion. All die anderen hervorragenden großen und kleinen Produktionen sind ausführlich im Festivalprogramm nachzulesen www.teszt.ro

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