Für Autoren des Balkan sind die Kriegsfolgen weiterhin ein Thema. …
… Die Wunden klaffen lange noch offen. Traumatisierte Gesellschaften und Gewalt der Modernen im Allgemeinen, gemischt mit dem Temperament des Balkans, fand sich auch dieses Mal in Stücken des Showcase und den Werken von Jeton Neziraj wieder. Dem Autor soll der folgende Bericht gewidmet sein.
Der 1977 im Kosovo geborene Gründer und künstlerische Leiter von Qendra Multimedia, der als einer der repräsentativsten politischen Autoren des neuen Balkans gilt, wurde im Rahmen des Theaterfestivals für seine Verdienste (und auch im Sinne internationaler Vielfalt) – ausgezeichnet als Kulturbotschafter zwischen Ost und West, für die Überwindung nationaler Grenzen und kulturhistorischer Barrieren von und nach Europa und dem Aufbau sinnvoller Kooperationen zwischen Kosovo, Europa und USA, für die Sensibilisierung zur gegenseitigen Beachtung innerhalb und außerhalb Europas, für Förderung von Verständnis, Toleranz und Akzeptanz, und dafür, dass er die Menschen durch seine Werke auf kultureller Ebene zusammenbringt.
„Dass dabei eine Abhängigkeit von europäischen Geldern besteht, soll ihn jedoch nicht an weiterer offener und notwendiger Kritik hindern, besonders wo sich Europa heute von innen zu zersetzen droht“, so der Präsident der KulturForum Europa, Dieter Topp, bei der Überreichung der Auszeichnung zum Ende der Vorstellung DIE RÜCKKEHR VON KARL MAY in Kooperation mit dem Post-West Festivals der Berliner Volksbühne, im Staatstheater Pristina. In dem „unterhaltsamen Stück für deutsche Menschen“ vertiefte Neziraj diese Aspekte.
„Das Stück scannt das heutige Europa, seine angenommenen kulturellen und zivilisatorischen Werte, seine als heilig verkündete Demokratie, die im Babel der bürokratischen Buchstaben der EU mit Eurovision – dem Musikwettbewerb – zu uns kommt. Das heißt, als ein Europa der Liebe, der Harmonie, des Glanzes und der Vielfalt, das im Kern und in Wirklichkeit auch ein arrogantes, eurozentriertes und sogar rassistisches Europa mit antimuslimischen und antiöstlichen Gesinnungen ist! Es handelt sich um ein Europa, das von außen glüht und im Inneren in Stereotypen schwelgt!
Während Karl May und seine literarischen Werke mit der Begründung entschuldigt werden können, dass er in einem Jahrhundert der Unwissenheit, Dunkelheit und eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten und Zugang zu Informationen gelebt hat, wie kann man einen Autor wie Peter Handke entschuldigen und rechtfertigen? Ein Autor unserer Zeit, der den Völkermord in Bosnien leugnet und (natürlich im Namen der künstlerischen Freiheit) von vielen europäischen Intellektuellen und Journalisten in Schutz genommen, dessen Beitrag mit dem Ibsen-Preis und Nobelpreis für Literatur gewürdigt wird.
Hier wird der Überblick über ein Europa gegeben, das sich neben den Freiheiten und dem Egalitarismus eine andere Seite mit einer düsteren und sogar dunklen Zukunft schafft. Die europäischen Trumps sind unterwegs!
Der Vorhang ist offen, ihr Weg ist schön gepflastert mit Blumen und Konfetti, auch literarischen! Die Reden von Handke und seinesgleichen sind für diejenigen da, die ein „Let’s make Europe great again“ schaffen wollen, ein Europa, von dem der neue Kara Ben Nemsi – diesmal nicht mit Pferden, aber wohl mit Panzern – abheben wird, um sie zu erkunden, erziehen und zivilisieren. Den barbarischen Osten – und jeden anderen Osten, der nicht wie ihr Westen ist. Auf diese Weise gedeihen auch im Osten weiterhin Frustration und Rassismus gegenüber Balkanflüchtlingen und solchen aus Drittweltländern.“ (Qendra Multimedia)
Solch ein Autor, der mit seiner Schreibfeder tief in der Wunde Europas bohrt, ist ein sehr würdiger Preisträger des 29. KulturPreisEuropa.
BALKAN BORDELLO
Zwischen den berühmten Cafés von Out of Rosenheim (Percy Adlon) und Praça Roosevelt (Dea Loher) eine eigene Bar zu eröffnen gelang Jeton Neziraj bei der Uraufführung seines „Balkan Bordello“ basierend auf Orestie des Aischylos in der Regie von Blerta Rrustemi-Neziraj voll und ganz.
Die amerikanisch, serbisch, kosovarische Truppe formte gekonnt das Bild einer Bar am Weg durch Serbien mit den Soldaten einer Nachkriegszeit, den Liebschaften und Leidenschaften des Betreiberpaares, der Sängerin, dem queeren Contemporary Dance Lehrer, und und und, … eine ureigene, eben eine Balkanatmosphäre, sowohl thematisch wie musikalisch. „Niemand will den blutrünstigen Agamemnon als seinen Helden. Jeder sieht ihn als einen Fremden, als einen „Anderen“, der ein Fremder ist. Und wir alle fühlen uns wie Trojaner. „Balkan Bordello“ ist ein Drama über die Agamemnons aus Pristina, Belgrad, Podgorica, Tirana, New York, Tel Aviv… Es ist den jungen Agamemnons gewidmet, deren Ankunft erwartet wird“, schrieb Autor Jeton Neziraj.
Der Show möge auf ihrer Tour durch Kosovo, Serbien und ihrem Abschluss in New York (La MaMa) ein verdienter Erfolg beschieden sein. Die geschickte Hand der Regisseurin, die typenspezifische Darstellung (in amerikanischer !!! Ausdrucksweise mit entsprechendem Akzent) in hinreißenden Tempi und dem scharfen Grad der Balance zwischen Theater und Klamauk haben den Weg dazu bereitet. Ein Stück aus dem Kosovo für ein internationales Publikum.
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